E I N S S E I N   M I T   G O T T 
F a c e t t e n   d e r   M y s t i k

 Hinduismus




Die vier bedeutendsten Lehrsätze der Upanishaden (Mahavakyas) des Advaita-Vedanta lauten:
1. Das Bewusstsein ist das Absolute (Brahman) (prajnanam brahma)
2. Ich bin das Absolute (Brahman) (aham brahmasmi)
3. Das bist du (tat tvam asi)
4. Dieses Selbst ist das Absolute (Brahman) (ayam atma brahma)
(Mittwede 1992, S. 139)

Dies kann in dem Satz zusammengefasst werden:

 Atman ist Brahman – ICH bin das Absolute.

Hierin ist Atman der eigene innere Seelengrund des Menschen und Brahman das allumfassende ungeteilte Eine, der Weltengrund.

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Text von Shankara (um 800 n. Chr.)
Der Meister spricht zu seinem Schüler:
„Brahman ist reines Sein, reines Bewusstsein, ewige Seligkeit, jenseits aller Handlungen, das Eine ohne ein Zweites. In Brahman gibt es nicht die geringste Verschiedenheit.
...
Die geistig Suchenden, jene großherzigen Seelen, die sich von allen Begierden befreit und von allen sinnlichen Freuden gelöst haben, die gleichmütig und selbstbeherrscht sind, erfahren diese erhabene Wahrheit Brahmans, erlangen die Vereinigung mit ihm und höchste Seligkeit.
...
Erwirb unmittelbare Erfahrung. Verwirkliche Gott in dir selbst. Erkenne den Atman als das eine unteilbare Sein und erlange Vollkommenheit. Befreie dein Denken von allen Zerstreuungen und verharre im Bewusstsein des Atman.“
Der Schüler befolgt die Anweisungen seines Meisters und spricht nach einiger Zeit:
„Das Ich ist vergangen. ... Ich habe meine Identität mit Brahman erfahren; so sind alle meine Wünsche ausgelöscht.
...
Mein Bewusstsein fiel wie ein Hagelkorn in die Weite des Meeres, das Brahman ist. Als es einen Tropfen dies Meeres berührte, löste es sich auf und wurde eins mit Brahman.“

(Shankara 1981, S. 121 ff.)

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Tat twam asi (Das bist du)
Zwei Gleichnisse aus den Upanishaden

Der Weise Uddalaka Aruni versucht seinem Sohne Shvetaketu die Einheit von Atman und Brahman anhand einiger Gleichniisse zu erklären.

Gleichnis vom Feigenbaum
„Hole mir dort von dem Nyagrodha-Baume eine Frucht.“ – „Hier ist sie, Ehrwürdiger.“ –
„Spalte sie.“ – „Sie ist gespalten, Ehrwürdiger.“ –
„Was siehst du darin?“ – „Ich sehe hier, o Ehrwürdiger, ganz kleine Kerne.“ –
„Spalte einen von ihnen.“ – „Er ist gespalten, Ehrwürdiger.“ –
„Was siehst du darin?“ – „Gar nichts, o Ehrwürdiger.“ –
Da sprach er: „Die Feinheit, die du nicht wahrnimmst, o Teurer,
aus dieser Feinheit fürwahr ist dieser große Nyagrodhabaum entstanden.
Glaube, o Teurer, was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus dem ist dieses Weltall, das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du [tat tvam asi],
o Shvetaketu!“
(Deussen und Michel 2007, S. 227)
 
Gleichnis vom Salz
„Hier dieses Stück Salz lege ins Wasser und komme morgen wieder zu mir.“ – Er tat es.
Da sprach er: „Bringe mir das Salz, welches du gestern Abend ins Wasser gelegt hast.“ -
Er tastete danach und fand es nicht, denn es war ganz zergangen.
„Koste davon von dieser Seite! – Wie schmeckt es?“ – „Salzig“ –
„Koste aus der Mitte! – Wie schmeckt es?“ - „Salzig.“ -
„Koste von jener Seite! – Wie schmeckt es?“ - „Salzig.“ -
„Lass es stehen und setze dich zu mir.“ -
Er tat es [und sprach]: „Es ist immer noch vorhanden.“ -
Da sprach jener: „Fürwahr, so nimmst du auch das Seiende hier [im Leibe] nicht wahr,
aber es ist dennoch darin.
Was jene Feinheit ist, ein Bestehen aus dem ist dieses Weltall,
das ist das Reale, das ist die Seele, das bist du [tat tvam asi],
o Shvetaketu!“ 
(Deussen und Michel 2007, S. 228)

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Gott in allen Geschöpfen - das Gleichnis vom Elefanten

„In einem Wald wohnte ein Sadhu. Er hatte viele Schüler. Eines Tages lehrte er sie, dass in allen Geschöpfen Gott lebt, darum solle man alle mit Ehrerbietung behandeln. Einmal sammelte ein Schüler im Wald Holz für das Feueropfer. Plötzlich erscholl ein Ruf: »Aus dem Weg, schnell! Ein wilder Elefant kommt.« Alle rannten weg, nur dieser Schüler nicht. Er wusste, der Elefant ist Gott, warum also weglaufen? Er blieb also stehen und grüßte den Elefanten mit gefalteten Händen und begann, eine Lobeslitanei zu singen. Drüben schrie der Elefantentreiber: »Weg, weg!« Doch der Schüler rührte sich nicht. Schließlich hob ihn der Elefant mit dem Rüssel empor, warf ihn zur Seite und trottete weiter. Über und über mit Wunden bedeckt, blieb der Schüler bewusstlos liegen. Als der Guru das hörte, brachten er und andere Schüler ihn in den Ashram und gaben ihm Arznei. Nach einiger Zeit, als er sein Bewusstsein wiedererlangt hatte, fragte ihn jemand: »Warum bist du nicht weggelaufen, als du den Elefanten kommen hörtest?« Er sagte: »Der Guru hat uns gelehrt, dass Gott die Menschen und alle Lebewesen geworden ist. Darum habe ich mich nicht gerührt, als ich den Gott-als-Elefanten ankommen sah.« Der Guru sagte dann: »Mein Junge, der Gott-als-Elefant ist herangekommen, das ist wahr, doch der Gott-als-Elefantentreiber hat dich gewarnt. Wenn alle Gott sind, warum hast du seinen Worten keinen Glauben geschenkt? Den Worten des Gott-als-Elefantentreiber muss man auch gehorchen.“
(Ramakrishna, 1836 - 1886)
(Kämpchen 2008, S. 19)