E I N S S E I N   M I T   G O T T 
F a c e t t e n   d e r   M y s t i k

Theologia Deutsch
(14. Jahrhundert)

 

Martin Luther (1483 – 1546) schreibt über die „Deutsche Theologie“ („Theologia Deutsch“):

 „...[es] ist mir näher der Bibel und Sankt Augustin nicht vorkommen ein Buch, daraus ich mehr erlernt habe und (erlernt haben) will, was Gott, Christus, Mensch und alle Dinge seien, und befinde nun allererst, dass es wahr sei ... Ich danke Gott, dass ich in deutscher Zunge meinen Gott also höre und finde, als ich, und sie mit mir, allhier nicht gefunden haben, weder in lateinischer, griechischer noch hebräischer Zunge. Gott gebe, dass dieser Büchlein (noch) mehr an den Tag kommen, so werden wir finden, dass die deutschen Theologen ohne Zweifel die besten Theologen sind. Amen."
 (nach Wehr 2012, S. 25)

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 Textauszüge aus der „Deutschen Theologie“

„Etliche Menschen die sprechen, man solle weislos, willenlos, lieblos, begierdelos, erkennlos und desgleichen werden. Das ist nicht so zu verstehen, dass in dem Menschen keine Erkenntnis sein soll und dass Gott in ihm nicht geliebt, gewollt und begehrt werde und gelobt oder geehrt werde, denn das wäre gar ein großes Gebrechen, und der Mensch wäre gleich dem Vieh und wie ein unvernünftiges Tier: sondern es soll davon kommen, dass des Menschen Erkenntnis also gar lauter und vollkommen sei, dass er eigentlich in der Wahrheit bekenne, dass er von sich selber nichts Gutes habe und vermöge, und dass alle seine Erkenntnis, Weisheit und Kunst, sein Wille, Liebe und gute Werke von ihm nicht kommen und auch nicht des Menschen sind noch einer Kreatur, sondern dass es Alles des ewigen Gottes ist, von dem es Alles kommt, als Christus selber spricht „ihr möget ohne Mich nichts Gutes thun.“ Es spricht auch Sankt Paulus „was hast du Gutes, das du nicht von Gott genommen hast?“ als ob er spräche: nichts.
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Sieh, also soll man aller Dinge ledig und los werden, das ist des Annehmens. Wenn man dann der Dinge los wird, das ist die beste, vollkommenste, lauterste und edelste Erkenntnis, die in dem Menschen immer sein kann, und auch die alleredelste und lauterste Liebe, Wille und Begehrung: denn dies ist dann alles Gottes allein. Es ist viel besser Gottes als der Kreatur eigen.
(Wehr 2012, Kapitel 5)

Man fragt, ob es möglich sei, dass die Seele, dieweil sie in dem Leibe ist, möge dazu kommen, dass sie tue einen Blick in die Ewigkeit und da empfange einen Vorschmack des ewigen Lebens und ewiger Seligkeit?

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...soll die Seele dahin kommen, so muss sie ganz lauter, ledig und bloß sein von allen Bildern und muss auch gänzlich abgeschieden sein von allen Kreaturen und zu allererst von sich selber. Und dies meinen viele Menschen, es könnte nicht geschehen und sei unmöglich in dieser Zeit. Aber Sankt Dionysius ... spricht: zu dem Anschauen göttlicher Heimlichkeit sollst du aufgeben lassen Sinne und Sinnlichkeit und Alles, was Sinne begreifen mögen und Vernunft vernünftig wirken kann, und alles das, was die Vernunft begreifen und erkennen kann, geschaffen und ungeschaffen, und stehe allein auf einem Ausgang deiner selbst und in einem Nichtwissen alles dieses Vorgesprochenen und komm’ in die Einigung dessen, das da ist über alles Wesen und Erkenntnis.
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Auch soll man wissen ...dass es möglich sei und dass es auch einem Menschen so oft geschehe, dass er daran also gewöhnet wird, dass er dahin luget so oft er will. ..... Sobald dann der Mensch wieder einkehrt mit seinem Gemüte und mit ganzem Willen und seinen Geist kehrt in Gottes Geist über die Zeit, so wird das Alles wiedergebracht in einem Augenblick, das früher verloren war. Und möchte das der Mensch zu tausendmalen an dem Tage tun, so würde da allzeit eine neue wahre Vereinigung; und in diesem lieblichen und göttlichen Werke ist die wahrste und lauterste Vereinigung, die in dieser Zeit immer sein kann. Denn wer hiezu kommt, der frägt nicht weiter, denn er hat gefunden das Himmelreich und das ewige Leben auf Erden.
(Wehr 2012, Kapitel 8)

Worin besteht nun die Vereinigung? Darin, dass man lauterlich und einfältiglich und gänzlich in der Wahrheit einfältig sei mit dem einfältigen ewigen Willen Gottes oder zumal ohne Willen sei und dass der geschaffene Wille geflossen sei in den ewigen Willen und darin verschmolzen sei und zu nichte geworden sei also, dass der ewige Wille allein daselbst wolle, tue und lasse. Nun merke: was kann dem Menschen hier dienen oder helfen? Sieh, das vermag weder Weise, Wort noch Werk und auch keiner Kreatur noch aller Kreaturen Werk. Also soll man alle Dinge lassen und verlieren das ist, dass man nicht wähnen oder denken soll, dass ein Wert, Wort oder Weise, Kunst oder Meisterschaft oder kürzlich alles das geschaffen ist, das kann alles hiezu weder dienen noch helfen. Darum so muss man dies alles sein lassen, was es ist und muss gehen in die Einigung.
(Wehr 2012, Kapitel 27)

Man spricht: wer sich an Gott genügen lässt, der hat genug, und das ist wahr. Und wem an etwas genügt, das dies oder das ist, dem genügt nicht an Gott; sondern wem an Gott genügt, dem genügt an nichts sonst und an allem dem, das weder dies noch das ist und Alles ist: denn Gott ist Eins und muss Eins sein und Gott ist Alles und muss Alles sein. Und was nun ist und nicht Eins ist, das ist nicht Gott, und was nun ist und nicht Alles ist und nicht über Alles, das ist auch nicht Gott: denn Gott ist Eins und über Eins und ist Alles und ist über Alles. Wem nun an Gott genügt, dem genügt an Einem und allein in dem Einen als an Einem. Und wem nicht Alles Eins ist und Eins Alles und wem nicht Etwas und Nichts gleich und Eins ist, dem kann an Gott nicht genügen. Aber wo dies wäre, da wäre auch wahres Genügen, und anders nirgends. Ebenso ist es auch: wer sich Gott gänzlich lassen und gehorsam sein soll, der muss auch allen Dingen gelassen und gehorsam sein in leidender Weise und ihm nicht widerstehen oder sich zu wehren und zu behelfen suchen. Und wer also nicht Allem und allen Dingen gelassen und gehorsam ist in Einem und als Einem, der ist Gott nicht gelassen oder gehorsam.
(Wehr 2012, Kapitel 46)

Wenn der Mensch das Vollkommene schmecken wird, so viel es möglich ist, so werden alle geschaffenen Dinge dem Menschen zunichte und auch der Mensch selber. Und so man erkennt in der Wahrheit, dass das Vollkommene allein ist Alles und über Alles, so folgt notwendig darauf, dass man demselben Vollkommenen allein alles Gute zuerkennen muss und keiner Kreatur, z. B. Wesen, Leben, Erkennen, Wissen, Vermögen und desgleichen. Und darnach folgt, dass sich der Mensch nichts annimmt, weder Wesens, Lebens, Wissens, Vermögens, Thuns und Lassens, noch alles dessen, das man gut nennen kann. Und also wird der Mensch so arm und wird auch sich selber zu nichte und in sich und mit ihm alles Ich, das ist alle geschaffenen Dinge. Und nun erst hebt sich an ein wahres inwendiges Leben, und dann weiter wird Gott selber der Mensch, also dass da nichts mehr ist, das nicht Gott oder Gottes sei, und auch dass da nichts ist, das sich Etwas annehme.

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Denn Niemand kann zweien Herren dienen, die wider einander sind: wer Eines will haben, der muss das Andere lassen fahren. Darum, soll der Schöpfer hinein, so muss alle Kreatur hinaus, das wisset fürwahr.
(Wehr 2012, Kapitel 53)