E I N S S E I N   M I T   G O T T 
F a c e t t e n   d e r   M y s t i k

Marguerite Porete
(1250 - 1310)


Marguerite Porete beschreibt in ihrer Schrift „Der Spiegel der einfachen Seelen“ sieben Stufen (Seinszustände) der Seele auf dem Wege zur göttlichen Freiheit und Einheit.
(Marguerite Porete und Kern 2011, Kapitel 118, S. 178 ff.) 

Im ersten Seinszustand bemüht sich die Seele, die göttlichen Gebote zu halten, Gott aus ganzem Herzen zu lieben und ihren Nächsten wie sich selbst, was sie viele Anstrengungen kostet.

Im zweiten Seinszustand geht sie darüber hinaus und erfüllt die sogenannten „evangelischen Räte“, die höheren Gebote der Armut, der Keuschheit und des Gehorsams.

Im dritten Seinszustand liebt der Mensch nichts weiter als die guten Werke und erbringt ihnen zuliebe jedes Opfer. Er tötet seinen Eigenwillen ab, um den Willen eines Anderen (Gottes?) zu erfüllen.

Im vierten Seinszustand legt die Seele auch noch den Gehorsam einem Anderen (Gott?) gegenüber ab und sieht und lebt nur noch in der reinen Liebe und genießt die Wonne, die aus der Harmonie der Einheit erwächst. 

Im fünften Seinszustand erkennt die Seele, „dass Gott der ist, der ist, aus dem alles ist, und sie selbst ist nicht und ist auch nicht diejenige, aus der alles ist“. Sie ist nun von Gott mit einem freien Willen ausgestattet und erkennt ihre eigene Nichtigkeit und Bösartigkeit. Sie beschließt, sich von ihrem eigenen Willen zu trennen und ihn an Gott zurückzugeben. Damit ist sie zu einem Nichts geworden und sitzt an der tiefst möglichen Stelle, von wo aus die göttliche Güte „sie emporzieht zu reiner göttlicher Güte, sie in sie verwandelt und durch die Vereinigung der Güte mit ihr vereint.“
Der Wille und das Verlangen und die guten Werke sind von ihr genommen und sie befindet sich ganz in Ruhe und Freiheit.

 Im sechsten Seinszustand sieht die Seele nicht sich selbst, sondern Gott sieht sich selbst in ihr:
„Doch Gott sieht sich in ihr von seiner göttlichen Majestät her, die diese Seele erhellt, so dass sie sieht, dass da nichts ist außer Gott selbst, der ist, von dem alles ist. Und das, was ist, ist Gott selbst, und deshalb sieht sie nichts außer-sich selbst. Denn wer das sieht, was ist, sieht nichts außer Gott selbst, der sich in dieser Seele selbst sieht, von seiner göttlichen Majestät her.
[…]
Doch diese auf diese Weise reine und erhellte Seele sieht weder Gott noch sich selbst, vielmehr sieht Gott sich von sich aus in ihr, für sie, ohne sie. Dieser (nämlich Gott) zeigt ihr, dass nichts ist als nur er. Und deshalb erkennt diese Seele ihn allein und liebt nur ihn allein, lobpreist nur ihn allein, denn es ist nichts außer ihm.
[…]
Und nichts ist außer dem, der ist, der sich in solchem Seinszustand aus seiner göttlichen Majestät selbst sieht, durch die Verwandlung der Liebe durch die verströmte und wieder in ihn zurückgeflossene Güte. Und darum sieht er [Gott] sich selbst in einer solchen Kreatur, ohne sich von dieser Kreatur etwas anzueignen.“

Der siebte Seinszustand der Verherrlichung schließlich wird nach Marguerite Porete der Seele jedoch erst gegeben, wenn sie ihren Leib hinter sich gelassen hat.